Frust, trinken, Teil 2. Über das Trinken...
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Nachtrag zu meinem gestrigen Post
Dienstag, 29.Januar, 2013 - ca 10.30 Uhr morgens. 11 Stunden nach dem letzten Whiskey Shot
Ich muss reden. Mit Ihnen. Der geneigten Leserschaft.
Mein letzter Post wird den einen oder anderen Leser etwas gewundert haben. "Mein Gott" - was ist mit Meyer los. Saufen und schlechte Laune? Von so etwas will man hier doch nichts lesen. Es geht um feingeistige Getränke, Barkultur. Gut, er schreibt eh nicht mehr so häufig, der faule Hund. Und jetzt dieser Mist hier… geht wohl langsam abwärts mit dem Herrn. Midlife Crises oder was?
Deshalb müssen wir reden. Der Post war durchaus als Zweiteiler beabsichtigt. Wenn er auch unbeabsichtigt an einer Stelle etwas entgleiste.
Es gibt ein paar Punkte, die wir hier zur Klärung abarbeiten müssen. Sonst ist der Raum für Spekulationen eventuelle zu groß.
Ich bin umbeschreibbar "Hang Over". Zerstört. Vom Alkohol. Von Gestern. Doch dazu später mehr. Fangen wir vorne an:
Dieser Post entstand "a la" Minute. Aus der Hüfte geschossen. Aus einer Laune. Mit Intention. Nach der vierten Unze Whiskey. Und beim zweiten Pale Ale. Die ersten zwei Unzen waren relative schnell getrunken worden. Noah's Mill. Ein fantastischer Bourbon. 57,15 % Vol brennen sich sehr Geschmackvoll durch die Kehle. Ein Genuss.
Es ist wichtig sich hier den Feinheiten hinzugeben. Ich war nach einem mich fast sprachlos machenden Telefonat um ca. 18.00 Uhr aus dem Le Lion in ein Car2Go gestiegen um nach Hause zu fahren. Ich war geladen vor Wut. Ich änderte meine Plan und fuhr zum Boilerman. Ich gebe solchen "Gefühlen" eigentlich nie nach. Aber ich brauchte einen Drink. Mit der Laune war ich zu nichts zu gebrauchen.
Ich setzte mich als erster Gast an meine Bar und spielte mit offenen Karten. "Boilermaker mit Noah's Mill". Die Verwunderung bei der geschätzten Bar Crew war durchaus anzumerken. Nicht das ich nie etwas trinken würde. Aber in der Regel trinke ich in Gesellschaft. Nicht allein. Nicht so früh am Abend.
Ich war genervt. Hatte Frust. Brauchte einen Drinks. Man könnte es eventuelle: Frust trinken nennen. Keinesfalls saufen. Beim Boilermaker "trinken" trinkt man Unzen. Nicht auf Ex. Mit zwei, drei Schlücken. Genießt den lieblichen, scharfen amerikanischen Whiskey und spült mit bitterem Pale Ale hinterher.
Die letzten Unzen, spät um Mitternacht. In großer Runde und heiterer Stimmung hatten sicherlich die Bezeichnung Shot verdient. Dazu später mehr. Am frühen Abend genoss ich, wir, Unzen.
Nach der zweiter Unze, etwas leichter Bar Konversation und ausreichender Bedenkzeit nahm ich mein Telefon und verlies die Bar. Ich telefonierte. Ich musste meinem Ärger gehörig Luft verschaffen. Ich redete Klartext. Keine einzige Höflichkeit mehr in der Rhetorik. Harte Worte. Alles raus. Ich redete mich 15 Minuten vor der Bar in Rage. Einige Passanten schauten ob meiner gelegentlichen Lautstärke und recht eindeutigen Sprache etwas irritiert an.
Nach dem Auflegen ging es mir besser. Ich hatte zwar gerade ein wichtiges Projekt abgesagt, was nicht nur für mich und meine Bar unangenehm war, sonder auch für eine unbeteiligte dritte Partei. Aber, es fühlte sich gut. Mir ging es besser. Alles sehr ärgerlich - aber nicht mehr zu ändern.
Als ich in die Bar zurück kehrte, stand ein gefülltes Unzen Glas vor mir. Die dritte Unze Noah's Mill. Ein großer Schluck, ein großes Brennen, die richtige Art und Weise um sich dieses Gespräch aus dem Kopf zu löschen. Ich war offen für neues und willens zu trinken. Einerseits froh darüber meine Meinung unmissverständlich gesagt zu haben, anderer Seits frustriert von der Sache als solchem. Warum überhaupt hatte es soweit kommen müssen? Unnötig. Welche Konsequenzen würde das alles nach sich ziehen? Wie begrenzen wir den Schaden für den unbeteiligten Dritten? Die Sache war noch lange nicht gelöst - ein Rattenschwanz würde folgen. Wahnsinn. Frustrierend.
Trotzdem entschied ich mich, das mein recht forsches "Meinung sagen" eine richtige Entscheidung war ! Und es galt diesen, meinen ganz privaten Sieg, zu feiern. Die Belohnung war in einer hohen schmalen Flasche, letzte Woche frisch eingetroffen. Thomas H. Handy Sazerac Straight Rye Whiskey. Uncut, Unfiltered, 66,2 % Vol.
Ich verteilte ein paar Unzen an die Menschen um mich rum und stieß mit Ihnen an. Dieses Meisterwerk des Rye Gattung galt es zu genießen. Kurze Schlücke, ein wohliges Feuer in der Mundhöhle. Aromenbombe.
Als ich meine Unze zu zwei Dritteln getrunken hatte und so vor mich hin-sinnierte zog ich mein Telefone aus der Tasche, machte das oben stehende Foto und lud es mit einem Lächeln und ein paar Zeilen auf diesen Blog. Mich überkam eine Laune. Ich war Gefühlsmässig Euphorisch vom "Meinung sagen" und schlecht gelaunt von den Umständen. Ich entschied mich, mich zu betrinken.
Das habe ich seit unzählbaren Jahren nicht mehr gemacht. Vorsätzlich. Meist ist Trunkenheit ein nicht vorsätzlich geplantes Resultat eines tollen Abends. Aber ich fällt hier und jetzt, nahezu nüchtern die Entscheidung. Ich werde Trinken. Mich betrinken. In Ruhe, nicht Laut, Mit Genuss. Aber ungebremst. Und darüber, so kam mir die Idee - lohnt es sich durchaus zu schreiben.
Soweit die Vorgeschichte.
Gut, vorab muss ich gestehen, ich haben meinen Ursprungs Post editiert. Zum einen war dort ein Gedanken Fehler, der mir gar nicht aufgefallen war. Ich verwechselte BOILERMAKER und BOILERMAN - Der Drink und die Bar. Das habe ich geändert.
Zum anderen löschte ich ein "Kraftwort". Man kann also durchaus wohlig gewärmt von Bourbon posten, aber wenn der Puls, ob des sich Luft machens, noch auf 180 ist, erscheint einem ein Kraftwort für den Nachdruck recht angebracht. Nahezu nüchtern liest sich das unschön. Ich habe es gelöscht. Der Technikfreak unter Ihnen weiss eventuelle wie er noch an meinem Ursprungs Post kommt. Viel Spaß bei der Suche. Denken Sie das Schlechteste von mir - so etwas schreibt man ja eigentlich nicht - hat mir aber durchaus ein breites Grinsen an dem Abend aufs Gesicht gezaubert. Kleingeistig - ich weiss. Schön, wenn die Maske fällt.
Wichtig finde ich zu erwähnen, das mich meine Boilerman Bar selbst beeindruckt hat. Wie sehr uns das Konzept DIVE BAR mit dem Boilerman gelungen ist. Wow. Ich war ja zuvor im Le Lion und hätte auch dort trinken können. Und ich möchte nicht missverstanden werden - ich LIEBE das Le Lion. Aber es zog mich zu Bier und Whiskey in den Eppendorfer Weg 211. Ich tauchte ein, tauchte ab, genoss meine Dive Bar zum ersten mal aus der Notwendigkeit des bewussten "sich betrinkend" heraus. Und, es war die perfekte Bar für diesen Abend.
Ich telefonierte nach meiner Entscheidung ein wenig. Und lud ein paar Genossen zum Trinken. In Gesellschaft bekommt es halt eine ganz andere Dynamik. Allein ist es relative reflektierende Handlung. In Gesellschaft verkommt das Trinken oft zum spaßigen Gesaufe. Das ist für ernsthaftes Trinken kontraproduktive. Allerdings von der Seite des Vergnügens nicht zu unterschätzen.
Sich zu berauschen hat etwas archaisches. Der Mensch und der Rauschzustand habend ein besondere Geschichte. Sich willentlich zu berauschen führt einen i.d.R. zurück zu den Anfängen. Da hilft dann auch das Gruppengefühl. Die wilde Horde, der Stamm. In Gemeinschaft wird das Trinkerlebnis ein ganz anderes. Die Gruppe um mich rum wuchs. Ich war allerdings schon ziemlich weit in Führung. Das kontinuierliche aber bewusste Unzen trinken wurde durch Baby Bourbon Shots ausgewechselt. So nennen wir im Boilerman ein paar leichte 40-43 % Vol. Vertreter der Bourbon Gattung. Man trinkt Sie, unkompliziert, ohne große Kopfarbeit. Die Art des Trinkens änderte sich. Der Stamm formierte sich. Die Gruppe entwickelte Ihre eigenen Trinkrituale. Der gemeinsame Rausch war das Ziel - der Baby Bourbon Shot das Mittel zur Wahl.
Hier genau ist der Punkt, über den wir reden müssen. Danke fürs Durchhalten. Wir müssen übers Trinken reden. Denn darum dreht sich meine tägliche Arbeit!
Und keine Angst, ich hab das sehr gut im Griff. Irgendwie war mir einmal danach, mich haltlos zu betrinken. Und es war ein großartiger Abend. Ich gestehe - zum Schluss hin, bereits kurz nach 23.00 Uhr (ich trank seit ca. 18.00 Uhr relative schnell relative viel Bourbon und Bier) gibt es ein, zwei kurze Erinnerungs Eintrübungen. Dann ging es auch schnell nach Haus. Bis dahin war es ein großartiger Abend.
Die letzten 5,5 Stunden allerdings wollte glaube ich niemand mit mir teilen. Ich hätte Sie gerne abgegeben. Mit zunehmenden Alter habe ich festgestellt, das ich bei einen sehr harten Rausch, ausgelöst von harten Spirituosen (Wein und Champagner klingt anderns "aus") nach einem kurzen eher Wach Koma ähnlichen "Schlaf" in absolute innere Unruhe verfalle.
Ich war gegen Mitternacht zuhause und "schlief" bis ca. 05.00 Uhr. Dann war ich wieder bei "Bewusstsein" und es Quälte mich eine Unruhe. Ich konnte nicht Schlafen. Aber auch nichts anderen machen. Es drehte sich alles. Dauernd. Ich hatte meinen Körper hemmungslos vergiftet und das liessen mich meine Nerven noch den ganzen Tag über spüren. Eine kalte Dusche brachte keinen Erfolg.
Ab 8.00 Uhr ging ich spazieren. Es war das einzige was möglich war. Frische Luft. Unglaubliche Unruhe. Nicht zum Aushalten.
Um 9.00 Uhr betrat ich das Cafe Paris und dachte "Vielleicht kannst du ja was Essen". Fehlanzeige. Beim Betreten und dem "Klimawechsel" wurde mir umgehend übel. Ich trank ein kleines Glas Wasser und spazierte weitere zwei Stunden durch Hamburg, Richtung Boilerman. Ich telefonierte in der Zeit meinen Akku leer. Die Beste Ablenkung vom zerreißenden Unruhe Zustand.
Gegen 11.00 Uhr ging es mir etwas besser. Nicht gut, aber die Unruhe wich etwas. Kleines Frühstück bei Toni im Eppendorfer Weg war möglich und brachte mich weiter. Im Grunde genommen war ich den ganzen Tag außer Gefecht. Am Nachmittag verschwand die Unruhe, dieser unterbewusste panische Druck aus meinem Inneren. Ich fühle mich besser - noch nicht gut. AM Abend wird es denke ich wieder gehen. Früh ins Bett und morgen sollte ich wieder Geschäftsfähig sein.
Reflexion des Ganzen: Was hat es gebracht? Einen sehr lustigen Abend. Ein unglaublichen, üblen Folgetag.
Somit: Selbstverständlich gar nichts.
Nun ja, zumindest was das Trinken angeht. Mein Wutausbruch am Telefon war zumindest nicht ganz Folgenlos. Am folgenden Tag wurden die "Gespräche wieder aufgenommen" . Das Projekt geht voran. Besser als vorher. So gesehen könnte ich gefallen finden an solchen Wutausbrüchen. Reinigt die Luft. Und die Seele. Besser als der Alkohol - soviel ist klar.
Trinken, sich Betrinken, gekonnt, spaßig, frustriert, schnell, laut, leise, genussvoll, peinlich, stilvoll … das passiert jeden Abend in unseren Bars. Der Alkohol halt viele Gesichter. Trinken ist ein unglaublich facettenreiches Spiel. Es fasziniert mich jeden Abend, in der Regel von "hinter der Bar". Beobachtend. Das kunstvolle Mixen, die "Mixology", ist nur einer kleiner Teil am Produkt Bar. Die Menschen kommen in die Bars. Jeden Abend. Um sich zu berauschen.
Teure und exklusive Weine, Spirituosen und Champagner sind gelegentlich nur ein Schutzschild, um die Sucht, das unkontrollierte Trinken, nach außen hin "wertig" erscheinen zu lassen. Aber wer exklusive und teuer trinkt, trinkt deshalb noch lange nicht "gekonnt". Das hat nicht viel mit dem Preis zu tun. Eher mit Snobismus. Und auch so manchen Mixologen habe ich schon zum Feierabend bedient, und er genoss ebene jenen bei zu vielen Drinks und viel guter Laune. Er schaltete ab.
Ist das Dramatisch? Der Rausch, das Lachen, sich dem Vergnügen hinzugeben ist Teil des Trinkverhaltens unserer Gäste und damit unseres Berufes. Die Grenzen sind fließend. Irgendetwas hatte mich bei Unze Nummer vier überkommen. Ein Schalk im Nacken. Aus einer Laune heraus. Warum sich nicht mal betrinken. Bewusst. Mit Ansage. Hatte ich noch nie gemacht.
Wenn man sich so wie wir Bartender jede Nacht "kopfmässig" mit dem Trinken beschäftigt, auf der Suche nach dem perfekten Genuss, ist das ein, zugegebener massen mit Vorsicht zu genießendes Kontra-Programm.
Wir trinken immer auch wegen der Wirkung. Alles andere erscheint mir eine recht verlogene Sache, soviel ist klar. Und wir, die Bartender, als Dompteure zwischen all diesen unterschiedlichen Trink(er) Kulturen. Was für ein Beruf. Unglaublich. Wunderschön. Facettenreich. Ich liebe Ihn. Wenn auch mit Vorliebe von "Hinter der Bar" .
Ich trinke aufs Trinken. Nur vielleicht nicht heute. Mir brummt noch der Schädel...
Großartig. Habe Sie am Morgen noch auf der Höhe Stephansplatz mit Telefon am Ohr gesehen und mich nach dem Blogpost vom Vorabend gewundert, dass Sie so schnell wieder auf den Beinen waren... Cheers!
AntwortenLöschenDas war in der Tat meine Laufroute auf dem Weg zum Boilerman ...
AntwortenLöschenDas Lied des Abends: http://www.youtube.com/watch?v=x5p3i_t3c80
AntwortenLöschenToller Text, danke.
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