"Neulich, an der Tür..." - Hoffnung in Sicht?

Gestern Abend öffnete ich zum ungezählten male die Tür. Das rote Licht forderte seit einer Stunde ungeteilte Aufmerksamkeit. Die Bar war voll. Sehr voll.  Es gab undefinierte zweite oder dritte Reihen stehender Gäste an der Bar. Es war irgendwo um halb zwölf. Permanent kamen Gäste aus den Restaurants der Stadt zum Le Lion für Ihren geplanten, aber natürlich unangemeldeten, Digestif. Und permanent versuchte ich mit größter Freundlichkeit und höflicher Bestimmtheit die Gäste an diesem Vorhaben zu hindern.

"Die Bar ist leider bereits zu gut besucht, im Moment kann ich Sie und Ihre  (3,6,9!) Gäste nicht mehr einlassen. Gerne rufe ich Sie zurück, sobald etwas frei wird."

Kurzform der üblichen Tür Gespräche.

In der Regel sind die Antworten Unverständnis zumindest Misstrauen. "Wirklich?" ...  manchmal schnelle, patzige Reaktionen. Kopfschütteln, Abwinken bis hin zu Beleidigungen "Solche arroganten Clowns wie Euch Affen braucht doch eh keiner...".

Ich habe aufgehört,  zu argumentieren bzw. darauf zu antworten. Ganz selten kriegen Sie mich noch. Aber wirklich selten. Alle paar Monate vielleicht einmal. Dabei liegt es gar nicht daran wie aggressive und verletzend man beleidigt wird, sondern eher daran, ob ich mit mir im reinen bin.

Wenn mich nichts ungeplantes aus der Ruhe bringt, prallt jede noch so dumm, dreiste Beleidigung an mir ob. In der Regel ist es recht einfach, zeigt es doch eher wie klein die Welt unseres aggressiven Gasts ist.  Der Horizont dieser vorschnellen Kritiker ist einfach sehr begrenzt. Ihnen fehlt die (Bar relevante) Lebenserfahrung. Hinzu kommt: Sie sind gekränkt und haben nie gelernt damit umzugehen.

Vor kurzem gab es in einem bei Bartender bekannten Magazin einen Artikel über Drogen in der Bar, bzw. zum Thema Kokain. Die Wellen in der Diskussion schlugen hoch, dabei erscheint es mir doch eher eine Droge von minderer Bedeutung zu sein. Eitelkeit und Begehrlichkeit sind die Drogen der Nacht. Mit Ihnen dealen wir. An der Bar und an der Tür. Und viele sind davon abhängig, einige sogar masslos. Darüber sollten wir Bartender reden. Nicht über diese paar erbärmlichen Gestalten die Ihr tristes Nachtleben mit ein paar Gramm Koks wieder nach vorne bringen wollen. Denn Ihr süchtiges Ego ist doch am Ende des Tages auch nur abhängig nach Eitelkeit und Begehrlichkeit. Kokain ist da zweitklassiger Zuarbeiter - aber ein anderes Thema.

Gestern Abend nun, öffnete ich erneut die Tür und vor mit standen acht Gäste. Ich begann mit aller Höflichkeit deren ausweglose Situation bezüglich des sofortigen Besuchs des Le Lion darzulegen und wurde gleich unterbrochen.

"Kein Problem - können Sie uns anrufen sobald wieder was frei wird, wir gehen solange "ums Eck"?"

???

Wie jetzt? So einfach? Sehr angenehm! Und am Ende des Tages hätte es mich nicht verwundern sollen. Denn schließlich zelebriere ich das bei nahezu jedem Auslandsbesuch. In New York und London, gerade in kleinen Bars, gar nicht anders machbar. Und die nächtliche Crowd in diesen Bar-affinen Städten ist da auch immer recht professionell im diesbezüglichen Umgang. Ganz im Gegensatz zum am Wochenende gehäuften provinziellen Umgang in deutschen Großstädten.

Es sei ganz dringend erwähnt, das dieses Phänomen in der Regel am Wochenende auftritt und echte Löwe Stammgäste diesbezüglich natürlich absolut professionell agieren. Nur schwämmt das Wochenende selbstverständlich (und das ist auch gut so) immer wieder neue Gesichter und Besucher in die Bar. Aber irgendwie beschleicht mich das Gefühl, wir bewegen uns langsam vom Fleck.

Denn nicht nur die achter Gruppe gestern hat im Bar-Profi-Style reagiert (und ich konnte sie nach 25 Minuten zurückrufen). Es passiert mir in letzter Zeit öfter an der Tür, das unbekannte Gäste verstehen worum es geht und wir diese dann später doch noch zu uns ins Le Lion holen können.

Ich weiss nicht wie es an den anderen Bar-Türen des Landes aussieht, aber ich habe Hoffnung. Mehr und mehr bekommt eine Bar und deren Besuch eine bedeutungsvolle Gewichtung für die Wochenendplanung der Gäste. Die Begehrlichkeit wächst.  Als verantwortungsvolle Dealer, wissen wir damit umzugehen. Immer schön freundlich bleiben, auf beiden Seiten.

Kommentare

  1. Bei uns im ONA MOR ist es eigentlich ziemlich ähnlich. Klar gibt es zwischendurch immer mal wieder Gäste, die unfreundlich und geradezu aufdringlich werden, wenn sie nicht eingelassen werden. Aber größtenteils zeigen die Leute sehr viel Verständnis für die Situation und zu ca. 80% kommen sie dann auch in die Bar, wenn man später zurückruft und einen Tisch für sie freihält. Wobei wir auch den Vorteil einer Glasfront haben und die potentiellen Gäste gut sehen können, dass wir keine weiteren Platz haben um sie gemütlich unterbringen zu können. Oft kommt direkt die Frage "Habt ihr noch Platz für zwei oder sollen wir später wiederkommen?". Wir weisen unsere Gäste aber auch regelmäßig darauf hin, dass mal bei einem Besuch am Wochenende auf jeden Fall vorher Bescheid geben soll, sei es über Facebook, Sms oder Telefon und somit passiert es in letzter Zeit des öfteren, dass wir zB. Montags Abends Gäste haben, die direkt für Samstag Abend zwei Plätze an der Theke reservieren.
    Fazit: Manchmal schwer zu handlen, aber die Situation verbessert sich stetig durch einerseits wachsendes Verständnis für unsere Situation und andererseits gesteigertes Mitdenken der Gäste, wobei das auch oft ein durch uns induzierter Lernprozess ist.

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  2. Das Phänomen unflätiger Gäste nach Verweigerung des Zutritts kann ich nicht bestätigen, seit Jahren nicht mehr, obwohl wir manche Nacht mehrere Dutzend potentielle Gäste aus unterschiedlichsten Gründen wieder in die Nacht senden müssen. Es ist wahrscheinlich der Hauptstadtbonus, obwohl die Berliner für ihr loses Mundwerk bekannt sind.

    Obwohl unsere Stammgäste in der Regel reservieren, sobald die Personenanzahl 3 oder 4 übersteigt, kann ich Unverständnis voraussetzen und nachvollziehen, wenn wir diese nicht einlassen würden. Ich würde mir ehrlich gesagt nicht wagen, Stammgäste nicht einzulassen. Wir haben gute Erfahrungen damit gemacht, in dem wir eisern mindestens einen Tisch nicht besetzen, auch wenn wir "dick" belegt sind. Der oder die Tische sind für solche Spezialfälle. Nur an wenigen Wochenenden sind die Tische verschwendet. Allerdings hat das riva auch eine gewissen Größe, wo das machbar ist.

    Viel nerviger ist der Umstand, gefragt zu werden, ob der Tisch reserviert ist, wenn ein nicht zu übersehendes Reserviertschild dies anzeigt. Ganz ungehobelte Personen setzen sich gleich. Hier frage ich mich ernsthaft, was das Problem ist. Sind diese Leute einfach nur dreist? Oder ist es weit verbreitet, Tische sinnfrei zu reservieren? Ich kann mir darauf keinen Reim machen.

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  3. ... Diese Idee, einen Rückruf an der Tür anzubieten ist wahrlich interessant...

    Für abgewiesene Gäste ist es ein echtes Ricola-Bonbon

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  4. Es ist schon verwunderlich in unserer heutigen Welt. Da gibt es Tausende an Gastwirtschaften in einer Großstadt und 99% schaffen es nicht, ihren Laden zu füllen. Nein - an gewissen Stellen bilden sich Schlangen.
    Das ähnelt auch dem Verhalten im Internet. Zigtausende an Shops bieten ihre Waren feil und nur ganz wenige erhalten den großen Kuchen.
    So ist es heute nun mal. The Winner takes it all.
    Wer konsequent, professionell, innovativ und ehrlich ist, dem gehört die Welt. Bitte weiter so.

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  5. Am Ende der Nacht erheb ich mein Glas, ziehe die letzte Linie und stelle mich den Geistern meiner Selbst.
    Ohne großartige Attitüde und hervorhebende Besonderheit, lebe ich das Leben eines Gastronomen – eines echten, mit Herzblut und Charakter verschreibenden Gastro-Junkies.
    Ja, ich trinke regelmäßig Alkohol…!
    Ja, ich konsumiere regelmäßig Kokain…!
    Ja, ich bin trotzdem Tag für Tag anwesend, funktionierend und bin mehr als nur eine geschlauchte Hülle.
    Was ich jedoch nicht bin und nicht praktiziere ist Folgendes…:
    Ich bin kein Lügner…!
    Ich lebe keine Lügen…!
    Ich schaffe keine maskierten Eindrücke für von mir ausgewählte Menschen…!
    Andere, meiste bedeutendere und anerkanntere Berufsgenossen, sie sind anders…!
    Sie schreiben offenkundige Blogartikel über ihren – ach so verschmähten - Koks-Missbrauch
    und über Ihren maßlosen Alkoholkonsum. Sie unterstellen all den nach ihnen kommenden Menschen, Unwissenheit, Dummheit und fehlendes Gleichgewicht.
    Wir Gastronomen – ich meine nur die unter uns, die ehrlich dabei sind – leben grundsätzlich am Abgrund und jeder von uns ist sein eigner größter Feind…! Sechs-Tage-Wochen mit zehn, elf oder gar mehr Stunden täglich, schmerzende Beine und Dauergrinsen gepachtet und dabei immer individuell von Gast zu Gast formwandelnd, das sind wahre Gastros…!
    Wir Gastronomen prostituieren uns immer wieder aufs Neue…!
    Ich finde es einfach lächerlich, die Alltäglichkeiten und die Normalitäten fickend, wenn sich Gastronomen öffentlich über ihre eigene Fehlbarkeit auslassen…!
    Ich bin erstaun das Jörg hier in seinem Blog einer solch durchschaubaren Banalität Forum gibt.
    Kokain, Alkohol, Phenylisopropylamin (Amphetamin oder auch bekannt als Speed) und auch N-Methylamphetamin, auch Methamphetamin oder Metamfetamin genannt (umgangssprachlich abgekürzt Meth oder Crystal), all diese „Wachmacher“ sind in der Gastronomie mehr als nur bekannt. Der Eine liebt den Champagner, der Andere das Kölsch. Ich KOKSE und ein Anderer haut sich Nacht für Nacht das Speed in die Birne. Einige von uns bevorzugen Crystal und sind dabei auch jene welche schnell weg und vergessen sind.
    Wir Gastronomen leben ein Leben außerhalb der Normalität und weit entfernt von jeder sozialen Kompatibilität. Wir sind einfach anders und sollten diese Erkenntnis nicht polarisierend in der „anderen“ Dimension diskutieren.
    Wir erfinden, produzieren, tragen und leben die „imaginären“ und immer situativ passenden Masken.
    In diesem Sinne…

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