Samstag Nacht: Ein guter geschenkter Tropfen „Konzept“, gerne auf Eis - Wider dem Zurückrudern.

Ein komisches Gefühl. Schon einige Monate her, wenn nicht bald ein Jahr. Ich sitze Samstag Nacht zuhause. Alleine. Drücke mich vor einigen halbwichtigen To Do‘s, da nächste Woche nicht viel Zeit bleiben wird. Habe aber eigentlich keine Lust mehr am Schreibtisch weiter zu arbeiten. Zeit umzustellen: vom brandeins Hörbuch auf ein geliebtes Nacht Album:





Night and the City von Charlie Hayden und Kenny Baron. Recorded 1996 live at the Iridium New York City.

So ist das manchmal, viel zu selten. Da sitzt man im kleinen Hamburg, und hängt allein und gedankenverloren in der dunklen Nacht. Und dieses Album transformiert mich immer in eine andere Welt. In eine Welt, die es nur Nachts gibt. In die Bar Welt, meine Welt. Großstadt, Jazz und gute Drinks, viel wichtiger noch, die perfekte Bar, nein mehr noch, die perfekte Atmosphäre. Irgendwie die Mischung aus allem. Ich habe zu diesem Album schon  früher im ATLAS die Bar geputzt. Stundenlang alleine Feierabend gemacht. Flaschen poliert, Staub gewischt. Man verfällt dann irgendwann in eine fantastischen Zustand. Man nimmt sich die Bitters Dash Bottles und ist selig, kleinste Verunreinigungen aus Ihren Ausgießern zu entfernen. Man gräbt sich immer tiefer ins Rückbüffet, räumt die Schubladen auf, in denen sich seit Monaten nicht Sammlungswürdiges sammelt. usw. Und das geht am Besten allein, und Nachts. Nach „Feierabend“. Stundenlang.

Komisch? Eigentlich nicht. Nachts war und ist meine Zeit. Und das Gefühl, die perfekte Bar zu hinterlassen und am nächsten Abend nach kurzem Mise en place zu wissen, das alles, alles, absolut jedes kleine Details gecheckt und ok ist, verlängerte den Trace Zustand um eine weitere Nacht. In der Schicht, in der man mit dem Ultima Ratio an Mise en Place arbeitet, fühlt man sich erhaben. Unangreifbar. Perfekt!

Gedankenverloren habe ich so oft früher mein Mise en place gemacht. Am Tage zu kommen war mir ein Graus. Zu viele Menschen, Frühdienst, Alltagsprobleme, Gerede, Geschwätzt, Ablenkung vom Wesentlichen. Nachts, absolute Stille, Nur Charly Hayden, Benny Baron, ein paar hundert Flaschen die poliert werden wollen und die Bar im gedimmten Licht.  Manchmal war ich so in dem Album versunken, das es mich an einigen Stellen zu Tode erschreckt hat. Live Aufnahme, plötzliches Husten in der Bar und man denkt: „Ist da wer?“.

Das war irgendwann nach 1997 und vor 2004. Bevor ich das ATLAS verkaufte, und mir schließlich mit, vorerst Le Bon Lion, später dann Le Lion, einen Wunsch erfüllte (und, das sei nicht zu vergessen, zusammen mit meinem Partner Rainer Wendt, ohne sich dieser Wunsch nicht so erfüllt hätte.)

Das waren sieben Jahre in denen meine Vorstellung „meiner“ Bar reifte. In Nächten, wo ich es genossen habe „die anderen nach Hause gehen zu sehen“. Jazz zu hören, und Bar einzuatmen. Ist jetzt selten geworden, oder besser „schwierig“ - Le Lion hat einfach zu lange auf. Und das komische ist ja, das man sich theoretisch in diesen perfekten Zustand reindenkt. In der Praxis würde da vielleicht jemand „nerven“. Den nennt man in der Regel „Gast“ - soviel zu Theorie und Praxis.

DIe Atlas Restaurant Bar hatte für mich ein ganz besonderes Flair. Sie hatte viele Fehler. Fängt an bei dem unpraktischstem Arbeitsbereich an, den es je gab. Spülmaschine in der Bar, bei Restaurant “Bespielung“ und hunderten von Gläsern eine Stimmungs Katastrophe. Etc etc etc. Die Fehler waren erstens gut, um aus Ihnen zu lernen. Und zweitens, sind solche Fehler in der Regel durch Bartender/Inhaber überbrückbar. Wo ein Wille, da ein Weg. Wichtig, schien mir schon damals, ein schlüssiges Konzept. Nicht zuviel Versprechen, wissen wo man steht, welche Funktionen eine Restaurantbar zu erfüllen hat. Und mit diesem Wissen dann die eigene Leidenschaft zum Thema Bar nach vorne treiben.  Soweit es geht, soweit es das Konzept zulässt. Aber nicht Dienstags für drei Gäste die Gläser im Froster haben, und Samstags dann direkt mit 40°C aus dem gespültem Rack.

Konzept, Konzept, Konzept. Das ist wichtig. Und, wenn man unsere Freunde aus den Restaurants über die Schulter schaut,  hat es da schon lange stattgefunden. Konzept, immer spezieller, rund ums Essen.

Nun, man darf eines nicht vergessen. Die Kulturgeschichte der Bar in unseren Landen ist verschwinden gering und daher, glaube ich, ist ein zu genauer Vergleich mit  dem „Essen gehen“ schwierig. Restaurants sind „weiter“ - besser aufgestellt. Und dennoch, ist es Zeit für mehr Konzept. In letzter Zeit haben mich wenig Bar Konzepte in Deutschland angenehm „überrascht“. Einiges ist nach wie vor szeniger Hip Schrott, der jenseits guter Drinks, gutem Handwerk, oder nennen wir es einfach „ohne wirklichen Qualitätsanspruch“ daherkommt. Indiskutabel - setzen sechs. Einige, viel zu wenige sind fantastisch und machen Spaß. Dabei geht es mit nicht um einen ausgefeilten Drink in einer Bar, oft einfach nur um Dinge wie ein trinkbarer Gin Tonic, gekühlte Getränke etc. Basics sondergleichen, nach wie vor in vielen Konzepten katastrophal gelöst.

Wenn Sie in Hamburg in einen Club oder wie auch immer Sie das nennen wollen wo nie Erwachsen werden wollende End Dreiziger sich nach 24 Uhr zu fragwürdiger Musik zu entspannen versuchen,  sagen wir nun einmal Club. Wenn Sie als in Hamburg also in einem Club einen trinkbaren Gin Tonic bekommen wollen, ist das wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Die Frage nur: „Warum?“. Gerade, von oft gepriesener gastronomischer „Unternehmerseite“ (Ihr Spinner mit Eurem Bar Quatsch verdient doch eh kein Geld“) werden diese Marginalsfehler begangen. Dabei ist ein Gin & Tonic ein fantastischer Longdrink, ein Schnelldreher, ein Umsatzbringer.

Es geht also oft um ganz einfach Dinge. Weniger ist wie immer mehr, das Wenige dann gut bis aussergewöhnlich gut zu machen wäre schon eine Art Konzept. Aber neben dem Szene Quatsch gibt es halt oft nur auf der anderen Seite den Gral der Klassik Bar. Das ist auch gut so, schließlich liebe ich sie. Dazwischen, finde ich, ist noch unglaublich viel Raum für neues. Denn es zu füllen gilt. Klassik Bar, Traum vieler Bartender, ist, leider, dünnes Eis in Deutschland. Aber dazwischen geht noch einiges, so ziemlich alles. Mit guten Konzepten.

Seit einiger Zeit nun beschleicht mich ein Gefühl, wenn auch nur ganz selten, das seit kurzem in unseren "Bartender Kreisen" kräftig „Zurückgerudert“ wird. Und was ich so lese und höre lässt mich schmunzeln. Da wird, das ist grundsätzlich nicht weiter dramatisch, wir wollten Ihn ja eigentlich auch nicht mehr so nennen, der Mixologe hinter der Bar enthronisiert. Gut, einige haben es auch übertrieben und sind nicht nur mir auf die Nerven gegangen. Nur der allgemeine Tenor der nunmehr an einigen Stellen daraus erwächst ist in meinen Augen falsch. Der Bartender soll als Dienstleister dem Gast die Wünsche von den Lippen ablesen und Ihm Swimming Pool, Red Bull und Chemische Cocktailkirsche servieren, wann immer er möchte und überhaupt. Den schließlich sind wir Dienstleister und unsere Aufgabe ist es den Gast zufrieden zu stellen....

Na, ich weiss nicht. Ein wenig Selbsterhaltungstrieb sollte bestehen bleiben. Es gibt einige Schwarze Scharfe, das ist richtig. Die haben es anscheinend an der einen oder anderen Stelle in der Vergangenheit übertrieben. Auch korrekt. Sie haben, selbst verliebt oder vielleicht einfach unbedacht wie Sie waren, Ihre Stellung als Bartender überzogen, Gäste beleehrt statt Ihnen eine gute Zeit zu bereiten -> No Go!

Wobei, wenn man es richtig macht, sind einem Gäste auch noch unendlich dankbar dafür. Man braucht dafür Talent. Das kann man, anders als Rezepte, glaube ich nicht lernen. Man kann Potenzial fördern, wer aber kein Talent hat, ist verloren. Sollte was anderes machen. Raus aus der Bar. (Kann ja als Gast wiederkommen...)

Nur, das sind einige, wenige Ausnahmen. Und ein Abend macht noch keinen Profession... Und im Grunde genommen hat sich für uns hinter der Bar in den letzten drei Jahren unglaublich viel geändert. Und das ist GUT SO!

Einem Gast zu sagen „Einen Swimming Pool mixe ich Ihnen nicht“ - obwohl man alle Zutaten da hat oder vielleicht noch Arrogant nach zu treten mit „ SO ETWAS serviere ich Ihnen HIER nicht“, ist unmissverständlich. Hätte ich vor einiger Zeit noch gedacht  ...Naja, er hat es ja gut gemeint... ist die einzig richtige Entscheidung: Rausschmeissen, den Bartender wohlgemerkt, nicht die Gäste!

Hingegen beispielsweise keinen Blue Curacao und Kokos zu führen, dem Gast freundlich mitzuteilen „ Dafür fehlen mir leider einige Zutaten“ und ihm dann sofort eine passende Alternative anzubieten die Ihm gefallen wird, ist ein Art Konzept.

Das wichtige ist nur, es muss von Inhabern und Bartendern gemeinsam angegangen werden. Im Löwen beispielsweise führen wir bis auf Limetten, Zitronen, Orangen und Tomatensaft keine Säfte. Das ist nicht der letzter Weisheit Schuß und auch kein Dogma. Nur lässt sich somit konzeptionell eine Aussage treffen. Das sollte höflich gemacht werden  und es muss untereinander Abgestimmt sein. Wenn ein einzelner Bartendern einen Alleingang macht, geht das nicht. Wenn die Bar als solches einen Schritt weg von WIR MACHEN ALLES macht, ist das begrüßenswert.

Das ich persönlich der Meinung bin RED BULL und ähnliche Getränke haben in einer guten Bar nichts, aber auch rein gar nichts, zu suchen, ist meine persönliche Meinung. Wer Argumentiert damit kann man schnell gutes Geld verdienen,fehlt in erster Hinsicht eines: Gute Ideen und eben Talent. Dieser erbrochene Gummibärchensaft ist in meinen Augen ein überteuerter Marketing Coupe.  Geld verdienen kann man mit anderen Sachen. Sicherlich, immer schön KONZEPT KONZEPT KONZEPT im Auge, ist ein 2000 Personen Club auf Abipartyniveau ohne Energy Müll schwer vorstellbar. Aber eine Klassik Bar?

Einem Gast, der danach fragt, werde ich meine Meinung zum Getränk sicherlich nicht merken lassen. Die Antwort lautet „Entschuldigen Sie bitte, wir haben leider kein XYZ, möchten Sie vielleicht einem Vodka Tonic?“.  (Wir haben angefangen gleich eine Alternative anzubieten die zu 90% sofort genommen wird. Reiner Selbstschutz, die Ausweichbestellung lautet sonst nämlich immer Vodka Cranberry - haben wir ja ebenfalls nicht ...)

Wir müssen dem Gast das Gefühl geben, er ist jederzeit willkommen und wir respektieren Ihn und seine Wünsche. Mit etwas Fingerspitzengefühl kann man jemanden ruhig mitteilen, das es xyz oder abc nicht gibt, ohne das dieser sich vor den Kopf gestossen fühlt. Der Ton macht die Musik. Und darin, sollten wir uns üben. Denn ich bin der festen Überzeugung das man nahezu jedes Konzept an den Mann bringen kann. Und wenn man es gut macht, sind einem die Gäste sogar dankbar dafür.

Kommunikation, zwischenmenschliche Interaktion und das Verständnis um diese sind sicherlich die Schlüsselpunkte zum Erfolg im Job als Bartender. Und ein starker Wille + jede Menge Geduld. Man muss sein Konzept „durchsetzen“ - das verwechseln die Hitzköpfe unserer Branche mit jemandem seine Meinung aufdrücken (Die doch eh niemanden interessiert....).

Man darf seinen Traum, seinen größten Wunsch nicht aufgeben.

„Wir machen alles für jeden und haben uns dabei furchtbar lieb“ ist kein Konzept, und schon gar keines das mich reizen würde. Wenn nach Wochen, Monaten und Jahren langsam , Zitat Hanibal Smith (Lektor- war es nicht,danke für den Hinweis) A-TEAM „ Ein Plan funktioniert“ ist das eine fantastische Bestätigung. Können wir also bitte aufhören Zurückzurudern?  Durchhalten ist angesagt. Und seine Träume nicht vergessen. Chemische Stilkirsche in den Müll und kann  jetzt mal jemand den Jazz aufdrehen und das Licht dimmen?

Kommentare

  1. Hallo Herr Meyer,

    Kann Ihnen da nur in allen Punkten Recht geben - bis auf einen: Hannibal Lecter mag gern Menschen-Leber und -Gehirne speisen (Schweigen der Lämmer), und Hannibal SMITH raucht gern Zigarren, wenn ein Plan funktioniert.

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  2. Lieber Jörg Meyer,
    vielen Dank für diesen wunderbaren Artikel und die ganz besondere und sehr passende Musik dazu. Ich konnte mir sofort vorstellen, wie es ist in der Bar zu stehen und nur Jazz und die Flaschen sind noch da... Wunderbar!
    Auf bald im Löwen!

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  3. Hallo Jörg,

    Ich kann mich dem nur anschließen.
    Eine Sache sollte man vil nicht vergessen, das ist die Zielgruppe.
    Versucht man nicht jeden zu erreichen, dann können tolle individuelle Konzepte viel bewirken. Allerdings zielen viele, in nenne sie mal, gastronomische Einrichtungen, darauf ab die Masse zu erreichen. Und das funktioniert ja offensichtlich auch und ist auch keinem zu verdenken. Sie bieten, was viele wollen.
    Was natürlich zu bedenken ist: Wenn man den Gästen zeigt, was es neben dem 0810 Gastro gibt. Wie viele würden aus der Höhle kommen?
    Wie stark ist die Vorprägung? Sollte/Kann man andere Leute ändern? - Ich denke nicht. Sollte man es ihnen anbieten sich ändern zu können? - Auf jeden Fall!
    Nur wird es immer beide Lager geben (sofern mans sich so einfach macht) und beide Interessengruppen suchen ihre passende Antwort.
    Ich find es nicht falsch für beide etwas anzubieten.
    Jeder hat auch seine Schwerpunkte und seine Schwächen.
    Was für den einen wichtig ist, ist für den anderen unwichtig.
    Dabei gibt es keinen richtigen oder falschen Weg (maximal erreichte oder nicht erreichte eigene Zielsetzungen).

    Damit soll aber nichts totgeredet werden. Ich verstehe den Beitrag als klare Bekenntnis zu einer Position, zu einer Einstellung, die ehrenwert ist!

    Gruß
    Sigurd

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  4. eigentlich bin ich ja nur ungern deiner meinung und mike recht geben ist sonst auch nich so mein ding, aber hier muß ich wohl:
    wunderschöner artikel!

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  5. Schöner Artikel zur schönen Musik!!! Nur bei den Kirschen bin ich nicht so dabei. Ich benutze ja ausschließlich die mit Stiel (haben meines Stil)und keine anderen. Gut, auch diese und ihre Inhaltsstoffe sind es würdig sie zu hinterfragen ebenso wie Produkte der Sirup- u. Likörindustrie. Da ich Mitglied bei "Foodwatch" bin reagiere ich sowieso sensibel auf "E" Zutaten!In diesem Sinne genieße ich den Plattentipp der Woche, lieber Jörg, und Suche eine Bratwurst ohne Glutamat ;-)
    Gruß von der Alster
    Rick

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